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Devizes to Westminster Marathon

Im Britischen Regattakalender ist das Osterwochenende schon seit 1948 fest für den „Devizes to Westminster Marathon“ reserviert. Mehr als 350 freiwillige Helfer sorgen an diesem Wochenende dafür, dass alles reibungslos verläuft. Von Devizes im ländlichen Wiltshire geht es auf dem Kennet-und-Avon-Kanal, der zu Anfang kaum breiter als der Kuhgraben in Bremen ist, bis nach Reading, dann weiter auf der Themse bis zum Ziel unter der Westminster Bridge im Herzen Londons. Neben dem ursprünglichen Non-Stop-Zweierrennen wird die Strecke jetzt auch über vier Tage im K1, C1 und Juniorenzweier ausgefahren. In diesem Jahr nehmen insgesamt 621 Aktive aus 17 Nationen in 347 Booten an dem Rennen über die 125 Meilen teil. Im Kajakeiner der Herren versuchen sich 73 Fahrer, darunter mit der Startnummer 752 eines aus Bremen …

Auf das Rennen aufmerksam gemacht hat mich Anja vom KC Limmer, die uns im letzten Sommer ins Schweden-Trainingslager nach Karlskrona begleitet hat: „Wenn ich schon in England studiere, dann stünde doch nichts gegen eine Teilnahme?!“ Viele Teilnehmer haben sich auf dieses Rennen vorbereitet, indem sie zuvor an mehreren kürzeren Marathons teilgenommen haben, die auf Teilstrecken dieses Rennens stattgefunden haben. Ich habe allerdings vor diesem Rennen nie mehr als 30km am Stück zurückgelegt. Schon bei der Bootskontrolle ist das Rennen für mich dann beinahe vorbei, bevor es angefangen hat: Ich habe keine Wechselkleidung im Boot und mir fehlt ein zweiter Auftriebskörper.

1.Renntag
Anders als bei den meisten anderen Rennen gibt es am ersten Tag keine Startzeiten, sondern ein Start-und-Zielfenster. Wann man genau startet, ist jedem selbst überlassen. Am ersten Tag geht es auf dem Kanal bis nach Newbury (55,5km). Um kurz nach neun Uhr starte ich dann im Nieselregen. Mit sechsunddreißig (!) matschigen und rutschigen Portagen hat der erste Tag es schon wirklich in sich. Als besonders schwierig erweist sich die Crofton-Schleusentreppe mit neun dicht hintereinander liegenden Schleusen. Auch eine Erfahrung ist der 459m lange unbeleuchtete Bruce-Tunnel. In absoluter Dunkelheit habe ich nicht nur Angst, dass jemand von hinten kommt und mir über das Paddel fahren könnte, sondern auch, dass ich in eine der Tunnelwände hineinführe. Ohne tüchtige Unterstützung kann man das Rennen nicht schaffen. Als tatkräftige Helfer ist meine Familie angereist und der Plan ist, dass wir uns alle 5-8km treffen, beispielsweise an Brücken oder Schleusen, um etwas zu essen und den Trinkrucksack nachzufüllen. An der ersten vorgesehen Stelle kommen sie zu spät, bei der zweiten entscheide ich mich dafür nicht anzuhalten, weil ich gerade auf einer guten Welle liege. Bei der nächsten Versorgungsstelle fällt der mir angereichte Riegel ins Wasser. Doch im Laufe des Tages bekommen wir auch das besser hin. Völlig erschöpft und ziemlich unzufrieden mit meiner Portagen-Leistung, die zur Folge hat, dass ich fast komplett ohne Welle gefahren bin, komme ich schließlich in Newbury an.

2.Renntag
Am zweiten Tag geht es weiter nach Marlow. Auf der Startlinie stehend werde ich zurückgerufen: Die zwanzig schnellsten Kajakeiner, zu denen ich völlig unerwartet gehöre, werden mit dem langsamsten zuerst wie bei einem Wildwasserrennen im Zweiminutentakt gestartet. So fahre ich wieder fast den ganzen Tag alleine. Nach 30km werde ich das erste Mal überholt. Als die nächsten Favoriten nach 50km zu mir aufschließen, versuche ich, deren Welle zu halten. Dabei hilft mir, dass wir inzwischen zu den früher gestarteten Zweiern aufgeschlossen haben und es sich daher an den Portagen staute. In Marlow paddeln wir an riesigen Villen vorbei, in Henley sind die Ruderer auf dem Wasser und je näher London rückt, desto größer werden die Motoryachten, die an uns vorbei schippern. Die zu paddelnde Distanz an diesem zweiten Tag soll 57km betragen, laut meiner Garmin, sind es dann allerdings fast 60km, weshalb mir die letzten 1000m endlos lang vorkommen.

3.Renntag
Etappenziel am dritten Tag ist Teddington (60km), ein Stadtteil von London. An diesem Tag führt die Strecke unter anderem am Schloss Winsor vorbei. Am Start habe ich in der Gesamtwertung eine Sekunde Vorsprung auf John, dem Fahrer, der direkt vor mir startet. Nachdem ich zu ihm aufgeschlossen bin, fahren wir die Strecke gemeinsam bis ins Ziel. Als mir unterwegs die Kraft ausgeht, fährt er an der nächsten Schleuse nicht einfach davon, sondern holt für mich einen Energieriegel aus seinem Boot hervor mit dem Hinweis: „Jetzt bist du dran mit der Führungsarbeit.“ Generell war es unglaublich, wie alle Aktiven und Betreuer sich gegenseitig geholfen und motiviert haben.

4.Renntag
Für den vierten Tag bleiben jetzt „nur“ noch 28km zu fahren und die sind ohne Portage. Dieses letzte Stück ist tidenabhängig mit der Folge, dass diese Etappe um 4:50 Uhr als Massenstart ausgetragen wird. Davor gibt es eine letzte Bootskontrolle um sicherzustellen, dass jeder Fahrer ein Licht an seiner Schwimmweste und auch am Boot hat.

Nach 18 Stunden und 21 Minuten habe ich das Ziel erreicht, was für mich den 10. Platz bedeutet.

Übrigens, im nächsten Jahr findet das Rennen vom 25.-28. März 2016 statt …
Link zur Veranstaltung
(Chris Jagau)